Wie können PatientInnen mit seltenen neuromuskulären Erkrankungen bestmöglich unterstützt werden? Eine ExpertInnen-Runde ist
sich einig: Case Management kann helfen.
Untersuchungen, Arztgespräche, Termin-Koordination, Anträge für soziale Leistungen und familiäre Herausforderungen im Alltag – PatientInnen mit seltenen oder chronischen Erkrankungen und deren Familien haben viele Aufgaben zu bewältigen. Dabei ist es nicht immer leicht, sich im Gesundheitssystem und darüber hinaus zurecht zu finden. Erste AnsprechpartnerInnen sind daher oftmals ÄrztInnen oder Pflegepersonal, die sich selbst oftmals mit diesen seltenen Krankheiten nicht auskennen und auch unter Zeit- und Ressourcendruck stehen. Dieses Problemgemenge kennt auch Neuropädiater Univ.-Prof. Dr. Günther Bernert: „Es erfordert einen hohen Organisationsgrad, um Kinder mit komplexen Erkrankungsbildern optimal zu betreuen – und zwar in den Spezialambulanzen, aber auch in den jeweiligen Familien. Wir stellen fest, dass viele Familien an ihre Grenzen kommen.“ Eine Idee, um einerseits Betroffene und deren Familien, aber andererseits auch das Fachpersonal zu entlasten, ist das sogenannte Case Management.
Lotsenfunktion in Sachen Gesundheit
Professionell geführt, kann Case Management wichtige Schnittstellen- und Lotsenfunktionen übernehmen. Davon ist Bernert überzeugt: „Ob Health Care Professionals oder Familien – alle würden ein System unter dem Namen Case Management benötigen, das in besonders komplexen Fällen die Fäden zusammenhält und bei der Organisation, beim Überblick-Halten, aber auch beim Mängel-Entdecken mithilft.“ Auch Dr. Caroline Culen, Geschäftsführerin der Österreichischen Liga für Kinder- und Jugendgesundheit, ist überzeugt, dass Case Management „eine große Entlastung bringen würde“. Viele PatientInnen, aber auch ÄrztInnen und das Pflegepersonal, würden sich oftmals alleingelassen fühlen. „Wir sollten es in Österreich nicht zulassen, dass sich das auf den Gesundheitszustand von schwerkranken Kindern auswirkt“, so Culen weiter. Davon kann auch die Neuropädiaterin Dr. Astrid Eisenkölbl ein Lied singen. „Als Pädiaterin versucht man ganz viele Personen auf einmal zu sein – Expertin für Neuropädiatrie, Ärztin, Psychologin, Studienleiterin, Lehrerin, Sozialarbeiterin usw. Dass sich das zeitlich nicht ausgeht, liegt auf der Hand. Case Management würde uns im medizinischen Alltag sehr helfen.“
Kommunikation, Organisation und Vernetzung
Doch welche Aufgaben können und sollten zukünftige Case ManagerInnen überhaupt übernehmen? Dr. Paul Wexberg, Kardiologe und selbst Vater eines Sohnes mit einer seltenen Muskelerkrankung, meint dazu, dass es nicht nur um die Organisation medizinischer Termine, sondern auch um essenzielle soziale Fragen, wie Unterstützungsleistungen oder Schulbesuche gehe: „Als Arzt und Vater eines betroffenen Kindes weiß ich: Vieles funktioniert über Kontakte. Es wäre toll, wenn dies über ein Case Management laufen könnte.“ Eine breite Palette an relevanten Themen also, für die AnsprechpartnerInnen rund um Koordination, Organisation und Vernetzung gefragt wären. Mag. Martina Rötzer, ebenso Elternteil von zwei Kindern mit seltenen Muskelerkrankungen, kann dies unterstreichen: „Für uns Angehörige ist Kommunikation ein großes Thema. Gerade nach einer Diagnose wünscht man sich als Familie eine gute Beratung. Häufig fehlt es leider an Information, welche AnsprechpartnerInnen wofür zuständig sind. Jegliche Hilfe wäre hier gut!“
Case Management
Chronisch Kranke haben viele Aufgaben zu bewältigen und dabei ist es nicht leicht, sich im Gesundheitssystem zurecht zu finden. Ein Case Manager, also ein Lotse im System, soll Betroffene, Familien und auch Fachärzte dabei entlasten.
Entlastung für Familien und Fachpersonal
Die Frage nach der Realisierung und Finanzierung eines professionellen Case Managements ist aktuell noch offen – ebenso welche (Zusatz-)Ausbildung für zukünftige Case ManagerInnen notwendig sein werden. Erste Pilotprojekte könnten hierbei helfen, die Relevanz von Case Management auch vor Kostenträgern zu unterstreichen. „Es gibt viele tolle Ideen und Projekte. Wir müssten einfach ins Tun kommen“, ist Rötzer überzeugt. Und schließlich sind sich alle ExpertInnen einig: Case Management könnte nicht nur ein neues, vielfältiges und verantwortungsvolles Berufsbild werden, sondern auch eine echte Entlastung darstellen – für PatientInnen, Angehörige, das medizinische Fachpersonal und letztendlich für das Gesundheitssystem als Ganzes.