Primar Univ.-Prof. Dr. Mag. Eugen Trinka, Vorstand der Uniklinik für Neurologie Salzburg, erklärt, was seltene Epilepsien sind, warum epileptische Anfälle ernst zu nehmen sind und warum man ihre Ursache früh und fundiert abklären sollte.

Prim. Univ.-Prof. Dr. Mag. Eugen Trinka, FRCP
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Vorstand der Universitätsklinik für Neurologie,
neurologische Intensivmedizin und
Neurorehabilitation der PMU,
Leiter des Neuroscience Institutes,
Past-Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie,
Präsident der Gesellschaft der Salzburger Ärztinnen und Ärzte,
stv. interimistischer Ärztlicher Direktor
Was sind seltene Epilepsien?
Seltene Erkrankungen werden prinzipiell durch ihre Häufigkeit definiert, das ist in diesem Falle 1:50.000 Einwohner. An Epilepsien leidet etwa ein Prozent der Bevölkerung – sie sind also gar nicht so selten! Doch es gibt unzählige Epilepsien, darunter Hunderte sehr seltene mit unterschiedlichen Ursachen. Diese fassen wir als „Seltene Epilepsien“ zusammen. Alle Epilepsien haben ein gemeinsames Symptom: Anfälle.
Wann tritt eine seltene Epilepsie auf?
An einer seltenen Epilepsie kann jede:r jederzeit erkranken. Meist tritt sie in der Kindheit auf. Wir unterscheiden grundsätzlich nach Epilepsien, die in der frühen Kindheit beginnen und häufig genetisch oder von einem Stoffwechseldefekt verursacht sind, und Epilepsien, die im Laufe des Lebens entstehen, beispielsweise nach einem Schlaganfall oder einer Hirnentzündung. Die Epilepsien der ersten Gruppe bezeichnen wir als seltene genetische Epilepsien – sie machen einen Großteil aller Epilepsien aus.
Wir sprechen bei diesen nicht nur von seltenen, sondern von seltenen und komplexen Epilepsien. Auch das Europäische Referenznetzwerk heißt „Netzwerk für seltene und komplexe Epilepsien“ (EpiCARE). Komplex ist jede Epilepsieform, die eine interdisziplinäre spezielle Behandlung benötigt. Das trifft insbesondere auf Epilepsien zu, bei denen auch eine epilepsiechirurgische Maßnahme infrage kommt.
Warum ist die frühe, fundierte Abklärung wichtig?
Wegen der immer wiederkehrenden Anfälle. Diese können gerade bei kleinen Kindern, die ja in der Frühphase der Gehirnentwicklung stecken, zu bleibenden Schäden führen. Oder die Ansprechrate auf die Therapie ist schlechter, wenn diese erst später eingeleitet wird. Deshalb ist eine Epilepsie immer ernst zu nehmen. Wird ihre Ursache nicht sofort geklärt, sollte man immer an eine seltene Epilepsie denken und dies genetisch abklären. Dazu gibt es österreichweit in den Landeshauptstädten hervorragende Epilepsiezentren für Neugeborene und Kleinkinder. Und an der Uniklinik für Kinder- und Jugendheilkunde in Wien sitzt das Europäische Referenzzentrum EpiCARE. In Salzburg stellen wir den Erwachsenenteil des Europäischen Referenzzentrums.
Die Praxis zeigt, dass die Angst vor Medikamenten bei den Eltern oft deutlich stärker ausgeprägt ist als die Angst vor einer unbehandelten Epilepsie. Ich möchte jedoch betonen, dass eine unbehandelte Epilepsie schwere Folgen haben kann. Die Eltern müssen detailliert aufgeklärt werden.
Jede seltene Epilepsie sollte von Expertinnen und Experten intensiv genetisch abgeklärt werden, die Teil des Europäischen Referenznetzwerks sind, wo Erfahrungen geteilt, Therapien besprochen und gemeinsam Studien durchgeführt werden, um den an seltenen Epilepsien Erkrankten adäquat zu helfen.
Was macht die kostenlos erhältliche Schulung „Seltene Epilepsien“ der Plattform selpers.com aus?
Im Rahmen der Initiative der Europäischen Union, Referenznetzwerke für seltene und komplexe Epilepsien zu gründen, war klar, dass die Aktivität des Europäischen Referenznetzwerks auch die Information und Verbreitung von Wissen beinhalten muss. Der Knowledge Gap, also die Wissenslücke, die besteht, ist erheblich. Stellen Sie sich vor, es gibt eine Epilepsie in der Häufigkeit 1:1.000.000. Dann wären in ganz Österreich acht Menschen davon betroffen. Selbst gewissenhaft tätige und sich stetig fortbildende Mediziner:innen wissen dazu nichts. Das müssen sie erkennen und Kontakt mit Expertisezentren aufnehmen. Auf der kostenlosen Plattform findet man ein sehr niederschwelliges Schulungsangebot, wie mit seltenen Epilepsien umzugehen ist.
Ist trotz seltener Epilepsie ein erfülltes Leben möglich?
Ja. Und es hängt ganz davon ab, um welche seltene Epilepsieform es sich handelt. Die vielen seltenen Epilepsien, die auch mit Entwicklungsstörungen einhergehen, sind deutlich schwieriger zu behandeln als die, bei denen die genetische Ursache bereits entschlüsselt ist und eine rechtzeitige Behandlung eingeleitet werden kann. Leider gibt es auch sehr viele Erkrankungen, die nach wie vor unheilbar sind und die mit schweren Defiziten einhergehen.
AT-EPL-2500005 02/2025
Der Interviewpartner hat das Gespräch unentgeltlich geführt.
Mit freundlicher Unterstützung von Jazz Pharmaceuticals