Ao.Univ.-Prof.in Dr.in Susanne Greber-Platzer, MBA
Leiterin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Wien
Neuropädiater Prim. Univ.Prof. Dr. Günther Bernert
Präsident der Österreichischen Muskelforschung
Spinale Muskelatrophie ist eine schwerwiegende genetische Muskelerkrankung. Eine Aufnahme der seltenen Erkrankung ins Neugeborenenscreening ist dringend erforderlich.
Ein Fall pro 7.000 Neugeborenen – die Spinale Muskelatrophie, kurz SMA, ist eine vergleichsweise häufige seltene Erkrankung. Jährlich werden in Österreich acht bis zwölf Kinder mit der Erkrankung geboren, die sich durch fortschreitende Muskelschwäche und Lähmung definiert. Ohne Behandlung führt die schwerste Form der Erkrankung, SMA Typ 1, meist noch vor dem zweiten Lebensjahr zum Tod. Eine schwerwiegende Erkrankung, für die bis vor einigen Jahren noch keine Therapie zur Verfügung stand. Heute, im Jahr 2021, sieht die Behandlungssituation glücklicherweise anders aus, erklärt der Neuropädiater Prim. Univ.-Prof. Dr. Günther Bernert: „2017 ist eine erste Substanz zugelassen worden, 2020 eine zweite. In den kommen-den Monaten erwarten wir eine dritte Therapiemöglichkeit. Damit können wir SMA nun in einem Maße behandeln, wie wir es uns bis vor Kurzem nicht vorstellen konnten – mit dem Potenzial auf ein Ergebnis, das der Idee einer Heilung nahekommt.“
Rechtliche Hindernisse vor Umsetzung
Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie der SMA ist allerdings ein möglichst früher Behandlungsbeginn – im Idealfall noch bevor erste Symptome sichtbar werden. Daher fordern Expert(inn)en nun, die SMA in das in Österreich bereits seit 1966 etablierte Neugeborenen-Screening zu inkludieren. „Die SMA erfüllt alle Kriterien, um in das Neugeborenen-Screening aufgenommen zu werden. SMA ist eine schwer verlaufende Erkrankung, die angeboren ist und bei der die Eltern nur Träger und selbst nicht erkrankt sind“, verdeutlicht die Leiterin der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde Wien, Univ.-Prof. Dr. Susanne Greber-Platzer. Im Rahmen des Neugeborenen-Screenings werden derzeit durch ein paar eingetrocknete Blutstropfen auf einer Filterkarte 29 Stoffwechsel- und Hormonkrankheiten gescreent. Die Voraussetzung zur niederschwelligen Aufnahme von SMA hängt aktuell von einer rechtlichen Anpassung des Gentechnikgesetzes ab, erläutert Greber-Platzer weiter: „Da für den SMA-Nachweis im Neugeborenen-Screening auf den Gendefekt untersucht werden muss, somit diese Erkrankung von Humangenetikern als Typ 3 nach dem Gentechnikgesetz klassifiziert ist, bedarf es einer schriftlichen Bestätigung zur Untersuchung nach Aufklärung durch einen Humangenetiker oder Facharzt auf diesem Gebiet. Die Anerkennung des österreichischen Neugeborenen-Screenings als Einrichtung für den frühzeitigen Hinweis auf eine Störung, die erst durch Diagnoseabklärung und Behandlung bei einem ärztlichen Spezialisten bestätigt wird, wäre ein gangbarer Weg.“
Früherkennung für Therapieerfolg
Wird im Rahmen des Neugeborenen-Screenings ein Hinweis auf eine Erkrankung gefunden, werden die Eltern informiert und mit einem spezialisierten Zentrum in Verbindung gebracht. Auch im Falle der SMA wäre dies der Fall und man könnte sofort mit einer geeigneten Therapie beginnen, unterstreicht Bernert: „Wir sehen laufend Kinder mit SMA, die bereits einige Monate alt sind. Das ist ein Rückstand, den wir auch mit der besten Therapie nicht aufholen können. Wir haben ein Gesundheitssystem, das sich teure Therapien bei seltenen Erkran-kungen leisten kann. Aber wir leisten es uns nicht, alles Notwen-dige zu tun, damit die Therapie bestmöglich wirken kann.“ Auch Greber-Platzer, die derzeit eine nationale Pilotstudie mit anonymisierten Proben durchführt, zeigt sich ungehalten, dass die Aufnahme in das Neugeborenen-Screening an einem juridischen Problem, aber auch an der Finanzierung scheitern könnte:
„Worauf warten wir jetzt noch? Unser Ziel sollte es sein, dass wir unmittelbar nach der Pilotstudie mit der regulären Testung weitermachen und die SMA im Neugeborenen-Screening inkludiert ist.“ Derzeit hinkt Österreich im Vergleich zu anderen Ländern, wie Deutschland, noch hinterher – denn dort läuft bereits die bundesweite Etablierung. Bernert und Greber-Platzer erhoffen und erwarten sich eine rasche Lösung, um Kinder mit SMA frühestmöglich mit lebensrettenden Therapien zu behandeln.
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