Jede seltene Erkrankung für sich allein ist selten, aber wenn man bedenkt, dass mehr als 6.000 Krankheiten als „selten“ eingestuft werden, ist die Zahl der Betroffenen in Österreich mit 400.000 sehr hoch. Vielleicht fragen Sie sich, wo diese Menschen alle sind?
Susanne Gerit Kircher
MedUni Wien, ZPG
Michaela Weigl
Pro Rare Austria und MPS Austria
Sie fallen nicht immer durch besonderes Aussehen auf und tragen
natürlich nicht das Etikett einer seltenen Krankheit. Doch sie leben in
unserer Mitte, sind Teil unserer Gesellschaft und unseres Lebens.
Seltene
Erkrankungen, wie zum Beispiel die Mukopolysaccharidosen, sind meist
chronisch, äußerst komplex und multisystemisch, das heißt, sie betreffen
eine ganze Reihe von Organsystemen. Daher ist neben speziellen
Untersuchungen, die einzelne PatientInnen aus bestimmten Gründen
brauchen, ein Monitoring für die übliche Routine in Form eines
standardisierten Managements besonders wichtig. Nur so ist es möglich,
Symptome frühzeitig zu erkennen und entsprechend schnell zu handeln,
wenn sich Komplikationen anbahnen. Berücksichtigt man diese Faktoren,
dann erkennt man, dass diese Erkrankungen im Wesentlichen eine sehr
engmaschige und regelmäßige Kontrolle erfordern.
Von der Kindermedizin …
In der Kindheit, wo die meisten Diagnosen gestellt werden, ist der zu absolvierende „Untersuchungsmarathon“ – abgesehen von der Tortur, die die Familien mitmachen – noch nicht weiter problematisch. Kinderärzte und ein multidisziplinärer Behandlungsansatz decken den besonderen medizinischen Versorgungs- und Behandlungsbedarf ausreichend ab. Außerdem ist der Zugang bei Kindern familienorientiert. Erziehung, Ausbildung, körperliche und geistige Entwicklung sowie soziale Integrität stehen im Vordergrund. Alles, was an Information und Aufklärung notwendig ist, wird über die Eltern gespielt.
… in die Erwachsenenmedizin
Mit dem Erreichen des Erwachsenenalters und der Transition in die Erwachsenenmedizin werden die Dinge aber mehr oder weniger plötzlich ganz anders gehandhabt. Es ist sehr erschwerend, wenn die Kontrolle jedes Organsystems einzeln zu absolvieren ist, weil es hierfür jeweils eine eigene Ambulanz und verschiedene SpezialistInnen für jedes Organ und jedes Problem gibt – und weder die Eltern als Fürsprecher und Prellbock, noch der Kinderarzt, der alles in einer Person überblickt, mehr anwesend sind. Plötzlich sind die Betroffenen selbst mit Diagnose, Erkrankung, dokumentierten Störungen und Organproblemen konfrontiert, in die sie (bestens betreut) vielleicht nie hineinwachsen konnten. Sie müssen der Realität mit der Erkrankung nun selbst ins Auge blicken, für sich selbst sprechen, hartnäckig sein, sich durchsetzen.
Auch sind viele Ärzte in der Erwachsenenmedizin überfordert. In den meisten Fällen waren sie bisher nicht mit einer so seltenen Erkrankung konfrontiert und häufig nicht für alle bestehenden seltenen Krankheiten ausgebildet oder vorbereitet. Die größere Spezialisierung im Erwachsenenbereich erschwert das komplexe Management der Multiorganbeteiligung vieler PatientInnen und es kann nicht – wie in der Kindermedizin selbstverständlich – auf das erforderliche interdisziplinäre Betreuungsteam zurückgegriffen werden.
Transition gelingt …
… wenn ausreichend Ressourcen bereitgestellt werden. Zurzeit ist es eher halbherzig, es soll nichts kosten und es bedeutet ja „nur, dass man in andere Ambulanzen gehen soll, nämlich in jene der Erwachsenen“. Viel besser wäre aber, den Übergang als Prozess über einige Jahre anzulegen und ihn doppelgleisig zu führen, mit SpezialistInnen der Kinderheilkunde und der Erwachsenenmedizin gemeinsam. Wenn Transition gelingt, trägt die bisherige Behandlung und Therapie Früchte, indem nach bestem Wissen Optimales angeboten wurde. Wenn Transition versagt, ist der Einsatz vorangegangener Bemühungen möglicherweise umsonst gewesen.
Wenn
schulische Ausbildungen angeboten wurden, die einen Betroffenen auf das
Leben vorbereiten können, jedoch die weitere medizinische Betreuung
nicht mehr adäquat ist, wird das Erworbene verloren, das Ziel nicht mehr
erreicht. Das ist keineswegs nur ein persönliches Problem des
betreffenden chronisch Kranken. Hier verliert auch die Gesellschaft als
ganze, die in den Jahren zuvor viel zur besseren Entwicklung und
Förderung beigetragen hat.