Etwa 100 Österreicher:innen leben mit der seltenen Erbkrankheit Friedreich Ataxie – Jakob Mitterhauser (31) ist einer von ihnen. Wie er seinen Alltag mit der fortschreitenden neurologischen Gleichgewichtsstörung bewältigt, lesen Sie hier.
Jakob Mitterhauser
Mitbegründer der Selbsthilfegruppe Friedreich Ataxie Austria
Wie kam es zu Ihrer Diagnose?
Mit 14 oder 15 hatte ich nach dem Fußballspielen beim Dehnen auf einem Bein immer wieder Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten. Der Schularzt stellte eine verkrümmte Wirbelsäule fest und schickte mich zur Physiotherapie. Dort fiel mein Gang auf. Man riet mir, die Sache neurologisch abklären zu lassen. Kurz nach der Matura bekam ich dann meine Diagnose: Friedreich Ataxie. Es hieß, ich würde in fünf bis zehn Jahren im Rollstuhl sitzen. Das ist jetzt 13 Jahre her.
Wie steckten Sie die Diagnose weg?
Mir ging’s gut. Ich konnte Fußball spielen und auch noch Ski fahren. Man sah mir fast nichts an, auch wenn ich selbst mitunter das Gefühl hatte, dass mein Gehirn nicht hinterherkommt. Dazu müssen Sie wissen, dass jede Bewegung aus einem Zusammenspiel von Auge, Innenohr, Kleinhirn und peripheren Nerven resultiert, was bei mir gestört ist. Ich schob die Diagnose von mir weg und sprach vier Jahre kaum darüber.
Im Jahr 2015 war ich das erste Mal auf Reha und wurde damit konfrontiert, dass sich mein Zustand verschlechtert hatte. Die Veränderungen hatten sich auf eine Art eingeschlichen, dass ich mich daran gewöhnt hatte – ich lebte schließlich jeden Tag mit mir. Dann setzte ich mich aber mit meiner Erkrankung auseinander – zugleich geschah viel im Privatleben. Ich machte meinen Bachelor und fragte mich „Was tue ich als Nächstes?“. Ich trennte mich von meiner Freundin und erlitt während meines Urlaubs in Südamerika zwei heftige Infekte. Der Stress war zu viel, weshalb ich in depressive Phasen glitt. Vier Jahre lang hatte ich immer wieder depressive Episoden, die ich seit Ende 2019 unter Kontrolle habe.
Ich lernte, dass Gesundheit wichtig ist und Stress mir schadet. Ich setze deshalb auf fünf Punkte, um Letzteres zu vermeiden: Schlaf, Meditation, soziale Kontakte, Bewegung und Ernährung. Ich weiß, wie sehr mich Depressionen früher eingeschränkt haben, und bin deshalb heute dankbar für jeden Tag ohne sie.
Wie gelang Ihnen das?
Ich lernte, dass Gesundheit wichtig ist und Stress mir schadet. Ich setze deshalb auf fünf Punkte, um Letzteres zu vermeiden: Schlaf, Meditation, soziale Kontakte, Bewegung und Ernährung. Ich weiß, wie sehr mich Depressionen früher eingeschränkt haben, und bin deshalb heute dankbar für jeden Tag ohne sie.
Wie sieht Ihr Alltag inzwischen aus?
Ich meistere das Leben ohne Hilfsmittel, wobei mein Gang an einen Betrunkenen erinnert. Ein Bild davon können Sie sich dank der Dokumentation „Einfach nur Jakob“ (siehe Kasten) machen. Ich bin fit: Ich wohne allein und stemme mein Leben weitgehend selbständig, brauche jedoch mehr Zeit für Alltägliches und zwischendurch immer wieder Pausen. Ich arbeite deshalb in Teilzeit. Meine Familie war und ist mir eine große Stütze. Ich rudere im österreichischen Para-Ruderteam (siehe Kasten) – wir suchen übrigens dringend Verstärkung, insbesondere weibliche –, und ich fahre regelmäßig E-Bike. Außerdem mache ich täglich meine Physioübungen und einmal im Jahr eine vierwöchige Reha. Für diese Möglichkeit aufgrund des österreichischen Sozialsystems bin ich dankbar. Ohne Reha wäre mein Zustand sicher schlechter und meine Lebensqualität geringer.
Ihr schwankender Gang zieht Blicke auf sich – Was macht es mit Ihnen, dass viele Sie für betrunken halten?
Viele Blicke sehe ich gar nicht, da ich mich auf meinen Weg konzentriere. Grundsätzlich verstehe ich die Neugier, mir geht es bei außergewöhnlichen Dingen genauso. Dennoch wünsche ich mir, dass die Menschen bei sich bleiben – wenn ich Hilfe brauche, gebe ich Bescheid. Und meine Erfahrung ist, dass mir dann auch immer geholfen wird. Ich bin heute selbstbewusster als früher, das heißt, mir ist egal, was fremde Menschen von mir denken. Wichtig sind Familie und Freund:innen. Nur so kann ich mit meiner Behinderung leben.
Sie engagieren sich auch für die Belange von Betroffenen?
Während meiner jährlichen Reha-Aufenthalte genieße ich die verständnisvolle Gemeinschaft mit anderen Betroffenen sehr. Deshalb habe ich im Herbst 2022 unsere österreichische Selbsthilfegruppe (siehe Kasten) mitgegründet, um den kontinuierlichen Austausch über unsere Krankheit zu fördern.
Derzeit steht in Österreich die Zulassung eines ersten Medikaments gegen Friedreich Ataxie an. Was erwarten Sie sich davon?
Ich erwarte kein Wundermittel. Doch die Erfahrungen aus den USA, wo das Mittel bereits zugelassen ist, stimmen mich zuversichtlich: Es kann das Fortschreiten der Erkrankung und damit die gesundheitlichen Verschlechterungen abbremsen. Es wäre schön, aufzuwachen und etwas einnehmen zu können, das hilft.
Was wünschen Sie sich von Ihren Mitmenschen?
Meine Wünsche erwachsen aus dem Wissen um meine Abhängigkeit als Mensch mit Behinderung: Mir geht es zwar gut, weil Österreich ein soziales Netz hat, das Menschen wie mich auffängt. Doch es gibt hier Luft zur Verbesserung. Zum Beispiel sollte die UN-Menschenrechtskonvention für Menschen mit Behinderung, die auch Österreich ratifiziert hat, konsequent umgesetzt werden. Das heißt, das Sicherheitsnetz basiert auf demokratischen Grundrechten, die jedoch von rechten Anhänger:innen missachtet werden. Das ist es, was mir Sorgen macht. Als Geograf und Stadtklimatologe sorge ich mich auch um unseren Planeten. Hier wünsche ich mir entschlossene Maßnahmen gegen den Klimawandel.
– Die mit dem österreichischen Wissenschaftspreis 2021 ausgezeichnete Multimedia-Dokumentation „Einfach nur Jakob“ von Sandra Fleck finden Sie hier: www.pageflow.jour.at/einfach-nur-jakob
– Die Para-Ruderer:innen können Sie hier kontaktieren: www.wrc-pirat.at/para-rowing
– Mehr zur Selbsthilfegruppe finden Sie auf der Homepage www.friedreich-ataxie.at, Kontakt: [email protected]