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Home » News » Spinale Muskelatrophie: Es gibt keinen Grund, nicht Eltern zu werden!
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Eine neuromuskuläre Expertin und eine Patientin mit spinaler Muskelatrophie (SMA), die bereits eine erwachsene Tochter hat, im Gespräch über Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft mit SMA.

Prof. Dr. med. Maggie C. Walter, M. A.
Fachärztin für Neurologie, Spezialistin für neuromuskuläre Erkrankungen, Ernährungsmedizin, Master Health-Care Management,
Geschäftsführende Oberärztin des Friedrich-Baur-Instituts

Prof. Dr. med. Maggie C. Walter, M. A.

© ZVG

Fachärztin für Neurologie, Spezialistin für neuromuskuläre Erkrankungen, Ernährungsmedizin, Master Health-Care Management,
Geschäftsführende Oberärztin des Friedrich-Baur-Instituts

Frau Prof. Walter, weshalb rücken Schwangerschaft und Geburt für Menschen mit spinaler Muskelatrophie vermehrt in den Fokus? 

Maggie Walter: Bei der spinalen Muskelatrophie handelt es sich um eine erbliche Erkrankung mit einem sehr breiten klinischen Bild der Patient:innen. In der schwersten Form sind die Kinder früher mit etwa zwei Jahren verstorben. Insofern war Schwangerschaft in dieser Patient:innengruppe klarerweise kein Thema. Auch bei den milderen Formen nur in Einzelfällen, weil es sich, egal wie schwer man betroffen ist, um eine fortschreitende Erkrankung gehandelt hat. Dadurch, dass wir jetzt wirksame Therapien zur Behandlung dieser Erkrankung haben, rückt der Wunsch nach Schwangerschaft und Elternschaft bei den Patientinnen und Patienten zunehmend in den Vordergrund. 

Frau Haring-Urdl, wie haben Sie als SMA-Patientin die Entscheidung getroffen, ein Kind zu bekommen? 

Manuela Haring-Urdl: Für mich stand schon im Alter von 14 Jahren fest, dass ich Mutter sein möchte, und das, aufgrund meiner Grunderkrankung, möglichst jung, um noch in bestmöglichem körperlichem Zustand zu sein. Für meinen Lebensplan brauchte ich aber auch einen Partner, der das mittragen kann. Die Reaktionen waren unterschiedlich. In meinem näheren Umfeld war es Freude, aber auch Besorgnis. Besorgnis, wie mein Körper die Schwangerschaft und Geburt aushält. Und Erstaunen war auch dabei und Unverständnis, wie man mit einer genetischen Erkrankung, und dann auch noch als zwei Menschen im Rollstuhl – mein Mann ist auch Rollstuhlfahrer –, überhaupt daran denken kann, ein Kind zu bekommen.

Frau Prof. Walter, wie beraten Sie Patient:innen mit SMA, die einen Kinderwunsch haben?

Maggie Walter: Tatsächlich rückt der Kinderwunsch immer mehr in den Vordergrund. Früher habe ich das bei den Patient:innen niemals angesprochen. Inzwischen haben mich so viele Betroffene exakt danach gefragt, dass ich das Thema mittlerweile aktiv bei allen neuen Patient:innen anspreche. Erfreulicherweise weiß man aus Publikationen, dass die Kinder von SMA-Patient:innen kein höheres Risiko für andere Erkrankungen oder geburtliche Probleme haben als in der Normalbevölkerung. Die SMA-Therapien können den Patientinnen helfen, eine Zunahme der Muskelschwäche nach der Geburt abzufangen. Ich würde den Patientinnen und Patienten daher immer dazu raten, dass Schwangerschaft und Elternschaft absolut möglich sind und dass sie das ruhig tun sollen. 

Wie wichtig ist eine genetische Abklärung vor der Schwangerschaft? 

Maggie Walter: Sehr wichtig! SMA ist eine autosomal-rezessive Erkrankung. Eine Patientin gibt ein defektes SMN1-Gen weiter. Wenn der Partner kein Träger ist, sind die Kinder nur Träger, aber gesund. Ist der Partner auch Träger, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder auch betroffen sind. Eine genetische Beratung ist daher essenziell. Wichtig ist, dass dieses Wissen um die Genetik in der Familie nicht verloren geht, da alle Kinder von SMA-Patientinnen und -Patienten obligate Träger für die Erkrankung sind.

Manuela Haring-Urdl: Die genetische Abklärung war für uns entscheidend. Mein Partner wollte wissen, wie hoch das Risiko für unser Kind wäre. Wäre es zu hoch gewesen, hätte er meine Entscheidung wahrscheinlich nicht mitgetragen.

Gibt es spezielle medizinische Vorsorgemaßnahmen für Schwangere mit SMA?

Maggie Walter: Besondere Vorsorgemaßnahmen oder Untersuchungen während der Schwangerschaft spezifisch für SMA gibt es nicht, aber Schwangere mit SMA sind per se immer als Risikoschwangere einzuordnen und haben häufigere Untersuchungen und häufigere Follow-ups als andere Schwangere. Seitens der behandelnden Gynäkolog:innen ist eine Abstimmung mit den behandelnden neuromuskulären Spezialist:innen sinnvoll und sollte auch unbedingt stattfinden. 

Manuela Haring-Urdl: Meine Schwangerschaft habe ich als wunderschön erlebt. Die medizinische Betreuung war exzellent und auf Augenhöhe. Uns wurde alles erklärt und nichts beschönigt. Da meine Schwangerschaft als SMA-Patientin 1998 noch Neuland war, suchten meine Ärzt:innen auch international nach Informationen.

Welche Rolle spielt die SMA-Therapie während der Schwangerschaft?

Maggie Walter: Aktuell wird noch empfohlen, die derzeit für Erwachsene verfügbaren Therapien in der Schwangerschaft zu pausieren. Es gibt jedoch erste Daten von Patientinnen, die unter Therapie schwanger geworden sind und gesunde Kinder zur Welt gebracht haben. Zukünftige Daten aus der Praxis werden endgültig Klarheit über die Sicherheit der Verabreichung von Therapien während der Schwangerschaft bringen, insbesondere in Bezug auf die Gesundheit des Kindes sowie die Erhaltung der Muskelfunktion und die Verhinderung einer Verschlechterung der motorischen Funktionen der betroffenen Mutter.

Ist eine natürliche Geburt möglich oder wird ein Kaiserschnitt empfohlen?

Maggie Walter: Ich rate generell zu einem Kaiserschnitt, insbesondere für Rollstuhlfahrerinnen, aber auch für gehfähige Patientinnen, um Risiken bei Mutter und Kind zu minimieren. 

Manuela Haring-Urdl: Bei mir war von Anfang an ein Kaiserschnitt mit Vollnarkose geplant. Die Geburt verlief problemlos.

Frau Haring-Urdl, wie hat sich Ihr Körper nach der Geburt verändert?

Ich fühlte mich glücklich und gestärkt. Rückblickend war die Schwangerschaft aber eine enorme körperliche Herausforderung für meine Erkrankung.

Welche Unterstützung oder welche Anpassungen können bei der Versorgung des Babys hilfreich sein? 

Maggie Walter: Ich denke, es ist ein großes Schwarmwissen bei den SMA-Patient:innen vorhanden, sodass sich junge Eltern am besten an die Selbsthilfegruppen wenden. Ich habe eine Patientin, die hat sich eine Verbindung zwischen Rollstuhl und Kinderwagen bauen lassen, was außer Haus eine große Erleichterung für sie ist.

Manuela Haring-Urdl: Mir half unter anderem ein Stillkissen, auf das man mir mein Baby zum Füttern legte, weil ich nicht die Kraft hatte, das Baby zu halten. Einen Schreibtisch hatte ich als Wickeltisch umfunktioniert, wo ich mit dem Rollstuhl drunterfahren konnte. Als meine Tochter zu laufen begann, haben wir ein Band an ihrem und meinem Armgelenk befestigt, damit sie mir nicht davonlaufen konnte. Als sie größer wurde, hat sie sich Inlineskates angeschnallt, mit denen sie sich von meinem E-Rolli hat ziehen lassen. 

Was möchten Sie Frauen mit SMA für Schwangerschaft und Elternschaft mitgeben?

Maggie Walter: Dass wir SMA jetzt wirklich effektiv behandeln können, ist die tollste Entwicklung der letzten 30 Jahre, seit ich in meinem Beruf bin. Es gibt keinen Grund, mit dieser Erkrankung nicht Vater oder Mutter zu werden.

Manuela Haring-Urdl: Wenn der Kinderwunsch von Frauen mit SMA sehr stark verwurzelt ist, dann würde ich ihnen empfehlen, sich nicht davon abbringen zu lassen. Sich zwar gut zu informieren, aber grundsätzlich sich von außen nicht dreinreden zu lassen. Muttersein ist wunderschön!

Spinale Muskelatrophie (SMA) ist eine seltene genetische Erkrankung, die durch Mutationen im SMN1-Gen (Survival Motor Neuron 1) verursacht und autosomal-rezessiv vererbt wird. Dies führt zu einem Mangel an SMN-Protein, das entscheidend für das Überleben und die Funktion motorischer Nervenzellen ist. Resultat dieses Proteinmangels sind Muskelschwäche und -abbau, die sich je nach Schweregrad und Krankheitsform unterschiedlich manifestieren können.

Quelle:
www.curesma.org/wp-content/uploads/2023/06/9062023_State-of-SMA_vWeb.pdf, 11.02.2025

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