Die gemeinsame Veröffentlichung des Nationalen Aktionsplanes für Seltene Erkrankungen durch Gesundheits-, Sozial- und Wissenschaftsministerien im Kontext des Tages der seltenen Erkrankungen ist ein wichtiger Meilenstein für Österreich. Er markiert allerdings nicht das Ende des Weges, sondern vielmehr den Beginn der Umsetzung. Dem Thema Vernetzung wird hierbei eine ganz besondere Rolle zufallen.
Ass.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Till Voigtländer
Länderkoordinator Orphanet und Medizinischer Leiter Nationale Koordinationsstelle für seltene Erkrankungen, Klinisches Institut für Neurologie der MedUni Wien
Der nationale Aktionsplan für seltene Erkrankungen ist ein ambitioniertes Papier mit mehreren Themenschwerpunkten, vielen Zielen und noch mehr avisierten Maßnahmen. Wie an anderer Stelle berichtet, beschäftigt sich ein Themenschwerpunkt unter anderem mit der Designation von hochspezialisierten Zentren für Seltene Erkrankungen in Österreich. Um der bestehenden Situation in Österreich und den auf europäischer Ebene entwickelten Leitlinien gleichermaßen gerecht zu werden, sieht dieses Zentrumskonzept mehrere Stufen mit Einzelzentren sowie Clustern aus mehreren spezialisierten Zentren vor. Doch Zentren allein sind nicht alles, ohne eine umfassende und enge Integration in die bestehende Versorgungslandschaft bewirken sie nur wenig.
„Aktive Vernetzung“ heißt das Zauberwort
Die Lösung hierzu heißt Vernetzung, und zwar auf allen Ebenen und mit allen Gesundheitsdienstleistern. Auf der horizontalen (der intersektoralen) Ebene sind dies die anderen hochspezialisierten Zentren und Cluster; auf der vertikalen (der transsektoralen) Ebene sind es alle Spitäler von Universitätskliniken bis zu Standardkrankenhäusern sowie der niedergelassene Bereich mit Haus-/Fachärzten und Ambulatorien; und auf der europäischen Ebene ist es die Vernetzung mit thematisch passenden hochspezialisierten Zentren in anderen Mitgliedstaaten zu sogenannten Europäischen Referenznetzwerken.
Vernetzungseffekte in der Praxis
Welche Vorteile bietet nun diese Kombination aus hochspezialisierten Zentren, aktiver Vernetzung und gezielter Information hierzu für die Betroffenen? Betrachten wir zur Beantwortung dieser Frage folgende drei Szenarien. Ausgangspunkt ist jeweils der niedergelassene Haus-/ Facharzt oder das lokale Spital, die meist die erste Anlaufstelle für Patienten mit seltenen Erkrankungen darstellen. Im ersten Szenario ist die Erkrankung des Patienten bereits diagnostiziert, die Grundversorgung erfolgt vor Ort. Aufgrund der engen, aktiv kommunizierten transsektoralen Vernetzung kennen Arzt und Patient aber das zugehörige, diese Erkrankung mitversorgende Zentrum sehr gut, sodass regelmäßige Kontrolluntersuchungen am Zentrum zügig koordiniert und Problemstellungen, die über die Erfahrung des Arztes vor Ort hinausgehen, rasch geklärt werden können. Falls erforderlich, kann der Patient zudem rasch an das Zentrum transferiert werden, bei dem dann alle relevanten Informationen bereits vorliegen.
Im zweiten Szenario ist die Erkrankung des Patienten noch nicht diagnostiziert, häufige Krankheiten sind aber schon ausgeschlossen, so dass eine unbekannte, möglicherweise seltene Erkrankung vorliegt, deren Symptome in eine bestimmte Fachrichtung weisen. Durch die enge transsektorale Vernetzung kennt der Arzt vor Ort nun ein hochspezialisiertes Zentrum aus genau diesem Fachbereich und kann so direkt ohne weitere Umwege mit Experten an diesem Zentrum abklären, ob „sein“ Patient in das Expertisespektrum dieses Zentrums fällt und dort weiter abgeklärt werden sollte.
Das dritte Szenario ist der Patient mit völlig unklarer Diagnose. Häufige Krankheitsbilder sind auch hier bereits ausgeschlossen und seine Krankheitssymptomatik ist so vielgestaltig, dass sie sich keinem Fachbereich sicher zuordnen lässt. In diesem Fall hilft zwar kein Einzelzentrum, doch kann sich der primär betreuende Arzt weiteren Rat bei einem Cluster aus mehreren hochspezialisierten Zentren holen und ausloten, ob „sein“ Patient zur weiteren diagnostischen Abklärung dorthin überwiesen werden sollte.
Kommen am Ende weder das Einzelzentrum (Beispiel 2) noch der Cluster (Beispiel 3) zu einer Lösung, können beide in einem letzten Schritt auch die im Rest Europas vorhandene Expertise hinzuziehen, indem sie den besonderen Fall dieses Patienten in das Beratungsorgan eines zugehörigen europäischen Referenznetzwerkes einbringen.
Ein schnellerer und gezielterer Weg durch unser Gesundheitssystem Was ist nun die Quintessenz?
Nicht alles ist neu und einige der geschilderten Abläufe gibt es natürlich heute schon. Was es aber heute noch nicht gibt, das sind die klaren, hochqualitativen und gut kommunizierten Strukturen und die wesentlich besser gebahnten Versorgungswege für die Patienten. Dadurch können Versorgungsabläufe in Zukunft deutlich schneller, gezielter und effizienter erfolgen und für manche Patienten wird sich erstmals eine valide Option ergeben, eine Diagnose und vielleicht eine Aussicht auf eine spezifische Versorgung zu erhalten – ein großer Gewinn für die Betroffenen, für alle in die medizinische und soziale Betreuung involvierten Fachkräfte und letztlich für das gesamte Gesundheitssystem.