Primäre Immundefekte stellen eine Herausforderung dar, auch weil sie zu den seltenen Erkrankungen zählen. Ein Expertengespräch mit Dr. Elisabeth Förster-Waldl über die Chancen auf Früherkennung.
Ao.Univ.-Prof.in Dr.in med.univ. Elisabeth Förster-Waldl
Leitung der Ambulanz für Störungen der Immunabwehr, AKH Wien
Können Sie uns erklären, was Primäre Immundefekte sind?
Ein Primärer Immundefekt (PID) ist eine angeborene Erkrankung des Immunsystems, die also von Geburt an vorhanden, aber nicht automatisch bei Geburt offensichtlich sein muss. Auch während der Säuglings- und Kleinkinderzeit müssen nicht zwingend Symptome auftreten. Vereinfacht gesagt bedeutet es nur, dass an der Erbinformation Defekte vorliegen, die das Risiko mit sich bringen, dass im Laufe des Lebens das Immunsystem seinen Aufgaben nicht mehr entsprechend gerecht werden kann.
Welche Aufgaben des Immunsystems sind davon betroffen?
Effizienz in der Infektabwehr, also Infektionen durch eindringende Keime in Schach zu halten, aber auch körperintern immunologisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten, sprich gegenüber den eigenen Geweben tolerant zu sein, also keine autoimmunologischen Reaktionen in Gang zu setzen. Außerdem ist unser Immunsystem damit beschäftigt, eventuell aufkeimende Krebserkrankungen in Schach zu halten.
Wenn eine dieser Funktionen nicht ausreichend wahrgenommen werden kann, kann eine Erkrankung entstehen. Die häufigsten Symptome einer Immundefekterkrankung sind unzureichende Infektabwehr, was in gehäuften oder besonders gravierenden Infekten mündet.
Wie sollte man in der medizinischen Praxis damit umgehen?
Wenn zur fehlenden Infektkontrolle zusätzlich autoimmunologische Symptome, ausgeprägte Allergien (als Zeichen einer immunologischen „Dysbalance“) und/ oder Malignität auftreten, dann sollte man daran denken, dass es sich hier möglicherweise nicht um solitäre, unabhängige Erkrankungen handelt, sondern das Bindeglied eine angeborene Störung des Immunsystems ist. Besondere Aufmerksamkeit gilt, wenn in der Familienanamnese bereits ein PID bekannt ist.
Warnhinweise können der Früherkennung helfen. In der Praxis sollten anhand von publizierten Diagnoserichtlinien Befunde erstellt und diese in enger Kooperation einem Expertisezentrum beurteilt werden.
Welche sind die Warnhinweise?
Das sind jene Warnhinweise, die oben erwähnte Symptome zusammenfassen: Wie viele Infektionen treten auf? Haben diese Infektionen einen selbstlimitierenden Charakter oder neigen sie dazu, schnell zu invasiven Infektionen wie tiefen Organabszessen oder einer Sepsis zu führen?
Sprechen diese Infektionen auf eine herkömmliche antibiotische Therapie an oder braucht es am Ende immer wieder die intravenöse Gabe von Antibiotika, um die Infektion in den Griff zu bekommen? Beobachten wir schlechte Gewichtszunahme bei Kind oder gravierenden Gewichtsverlust beim Erwachsenen?
Was bedeutet das für behandelnde Ärzte?
PID sind meist zu den seltenen Erkrankungen zu zählen, was eine der Herausforderungen in der Diagnostik darstellt. An Dinge, die häufig vorkommen, denken wir eher. Je seltener Krankheiten vorkommen, desto geringer ist die „Awareness“. Das gilt insbesondere dann, wenn wir nicht an einem spezialisierten Zentrum arbeiten.
Deshalb plädieren wir seit Jahren dafür, seltene Erkrankungen immer an einem spezialisierten Zentrum oder zumindest in enger Kooperation mit einem ausgewiesenen Expertisezentrum zu betreuen. Zentrumsstrukturen schaffen auch die notwendige Interdisziplinarität zwischen Organspezialisierungen. Diese Einsicht zu vermitteln, ist uns ein besonderes Anliegen.
Philipp Jauernik, [email protected]