Dr. Ivan Milenkovic ist Facharzt für Neurologie an der Universitätsklinik der Medizinischen Universität Wien und Experte für Ataxien und seltene Erkrankungen. Im Interview klärt er über die Ursachen von Friedreich Ataxie (FA) und mögliche Verläufe auf. Zudem spricht er über den unbändigen Lebenswillen seiner FA-Patient:innen.
Dr. Ivan Milenkovic, PhD
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Facharzt für Neurologie an der Universitätsklinik der Medizinischen Universität Wien
Was passiert bei Friedreich Ataxie im Körper?
Friedreich Ataxie ist eine seltene neurologische Erkrankung. Die Prävalenz in Europa folgt einem West-Ost-Gefälle. In Österreich liegt die Zahl der Betroffenen schätzungsweise im niedrigen Hunderterbereich. In ihrer klassischen Form zeigt sich die Erkrankung vor dem 25. Lebensjahr, in den meisten Fällen bereits im Kindesalter zwischen 6 und 12 Jahren. Meist fallen Koordinationsprobleme, Gangstörungen und Stolpern auf: beim Laufen, Stiegen steigen oder Sport. Im Verlauf gehen die Symptome auf die oberen Extremitäten über; und Betroffene entwickeln eine Sprechstörung. Die klassische Form der Erkrankung geht mit internistischen Symptomen wie Zuckerkrankheit, Fettstoffwechselstörungen oder Herzproblemen einher. Herzprobleme sind bei Kindern nicht selten das erste Symptom. Es gibt auch eine Variante der Friedreich Ataxie mit spätem Beginn: Sie zeigt sich bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen oft anhand eines Torkelns, das man von Betrunkenen kennt. Es entsteht durch Störungen beim Übertragen von Signalen über das Rückenmark zu den Hirnzentren. Die Folge sind Fehlinformationen zur Position der Gliedmaßen, Gleichgewichtsstörungen und Schwindel. Hinzu kommen aufgrund zunehmender Muskelschwäche auch Sprech- und Schluckprobleme. Die Betroffenen lallen deshalb teils auffällig. Tritt die Krankheit erst im höheren Alter (40+ Jahre) auf, sind häufig auch Spastiken zu beobachten. Im Zeitalter der häufig verfügbaren genetischen Testung entdecken wir immer öfter solche Fälle, die sonst verkannt bleiben würden.
Was ist die Ursache von Friedreich Ataxie?
Friedreich Ataxie ist genetisch bedingt. Sie wird autosomal rezessiv und geschlechtsunabhängig vererbt. Das heißt: Die Eltern von Betroffenen sind beide Träger:innen von genetisch verändertem Material (sogenannte Allele). Hier sind es Varianten des Gens Frataxin (FXN) mit überdurchschnittlich mehr sogenannten Triplettrepeatverlängerungen. In dieser Konstellation besteht bei jedem Kind eine 25 %-ige Wahrscheinlichkeit, an Friedreich Ataxie zu erkranken, wenn es das defekte Allel beider Elternteile erbt. Die Eltern selbst sind als reine Mutationsträger:innen nicht von der Erkrankung betroffen.
Wie behandeln Sie Friedreich Ataxie?
Die Erkrankung ist noch nicht heilbar, aber: Es gibt Behandlungsmöglichkeiten, die den Fortschritt der Friedreich Ataxie zu bremsen vermögen. Deshalb ist es so wichtig, die Erkrankung möglichst früh zu diagnostizieren und zu behandeln. Denn bereits vorhandene Schäden und ihre Folgen sind nicht wiedergutzumachen. Der Nachweis der Erkrankung ist mit einem Bluttest vergleichsweise einfach und schnell durchgeführt. Die Zahl der dabei festgestellten Repeats lässt zudem eine Prognose für den weiteren Verlauf der Erkrankung zu. Bis dato haben wir FA-Betroffene nur symptomatisch behandelt: mit Physiotherapie, Ergotherapie und Logopädie. Diese Maßnahmen bleiben nach wie vor wichtig, denn sie sind maßgeblich dafür, dass FA-Betroffene wichtige Körperfunktionen trainieren und somit aufrechterhalten. Hinzu kommen Therapien für die weiteren Erkrankungen, die mit Friedreich Ataxie einhergehen, wie etwa die Zuckerkrankheit.
Verläuft die Krankheit bei allen Patient:innen gleich?
Friedreich Ataxie verläuft individuell, da sie vom Ausmaß der genetischen Defekte abhängt. Es gilt: Je mehr der erwähnten Repeats vorliegen, desto früher tritt die Friedreich Ataxie auf und desto schwerer ist der zu erwartende Verlauf der Erkrankung.
Beim klassischen Verlauf mit frühem Krankheitsausbruch treten – anders als beim späteren Beginn – nicht nur Bewegungsstörungen, sondern auch oft eine Herzmuskelschwäche sowie Herzrhythmusstörungen auf, die die Lebenserwartung deutlich verkürzen können. Die immer stärker werdende allgemeine Muskelschwäche zwingt alle Patient:innen früher oder später in den Rollstuhl. Das ist insofern tragisch, als dass die Betroffenen keine kognitiven Probleme haben, körperlich aber zunehmend Hilfe brauchen.
Wie wird die Lebensqualität von Friedreich Ataxie beeinflusst?
Die Krankheit schränkt die körperliche Funktionalität zunehmend ein. Ich erlebe meine Patient:innen dennoch als hochmotiviert: Sie geben nicht auf, sie lernen, studieren und arbeiten. Sie wollen am Leben teilhaben. Sie sind darüber hinaus sehr an neuen Studienergebnissen interessiert und verfolgen diese aktiv. Ich sehe aber auch, dass gerade im beruflichen Umfeld noch viel getan werden muss, um diesen Menschen Arbeit zu bieten, die sie tatsächlich ausüben können. Oft fehlt es hier an Flexibilität seitens der Arbeitgeber:innen.
Wir als Gesellschaft sind dafür verantwortlich, Menschen mit seltenen Erkrankungen im beruflichen und sozialen Leben miteinzubeziehen. Diese Inklusion muss auf Augenhöhe stattfinden, um Betroffenen das Gefühl von Wertschätzung als Teil einer Gemeinschaft zu vermitteln.
An wen können sich Betroffene in Österreich wenden?
Erste Anlaufstelle sind oft Hausärzt:innen oder Kinderärzt:innen. Beim begründeten Verdacht auf eine neurologische Erkrankung findet eine Überweisung zu Fachärzt:innen für Neurologie statt. Wichtig ist dann jedenfalls die Überweisung der Patient:innen an ein Expertisezentrum, da dort schnell und unkompliziert eine umfassende Diagnostik durchgeführt werden kann. Nur so können lange Wartezeiten auf eine Diagnose sowie auf eine entsprechenden Therapie wesentlich verkürzt werden. Auch die österreichische Selbsthilfegruppe für Friedreich Ataxie ist sehr gut aufgestellt: Sie vernetzt und hilft Betroffenen weiter, an die richtigen Expert:innen vermittelt zu werden.
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