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Hypoparathyreodismus

Wenn es am Nebenschilddrüsenhormon mangelt

Doctor examining patient's thyroid glands. Female practitioner is wearing lab coat. They are in hospital.
Doctor examining patient's thyroid glands. Female practitioner is wearing lab coat. They are in hospital.
iStock/Stígur Már Karlsson /Heimsmyndir

Nebenschilddrüse, Parathormon und Kalzium sind drei zentrale Schlagwörter, wenn es um Hypoparathyreodismus geht. Die Endokrinologin PD Dr. Karin Amrein, MSc klärt im Interview über Ursachen und Symptome dieser seltenen Erkrankung auf. 

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PD Dr. Karin Amrein, MSc

Fachärztin Innere, Endokrinologie & Intensivmedizin

Hypoparathyreodismus: Was steckt hinter dieser Erkrankung, die wie ein Zungenbrecher klingt?

Dahinter verbirgt sich ein Nebenschilddrüsenhormonmangel. Als Nachbarn der Schilddrüse gibt es normalerweise vier Nebenschilddrüsen, die aber eine ganz andere Aufgabe im Körper haben – nämlich die Regulation des Kalzium- und Vitamin D-Haushaltes. Das Nebenschilddrüsenhormon Parathormon ist ein sehr kurzlebig wirkendes Hormon, das schnell auf eine Unterversorgung von Kalzium im Blut anspricht. Und Kalzium ist wiederum für viele Prozesse im Körper sehr wichtig – wie etwa die Erregungsleistung im Herz oder für die Muskeln. 

Welche Ursachen liegen diesem Mangel zugrunde bzw. welche Auslöser gibt es dafür? 

Bei zirka 70–80 Prozent der Betroffenen ist eine Schilddrüsen- oder Halsoperation der Auslöser. Ein erhöhtes Risiko tragen PatientInnen mit einer bösartigen Schilddrüsenerkrankung, bei denen im Zuge einer Operation auch Lymphknoten entnommen wurden. Daneben gibt es noch viel seltenere Fälle, die aufgrund von genetischen oder autoimmunen Ursachen an Hypoparathyreodismus leiden.

Welche Symptome haben PatientInnen mit einem Nebenschilddrüsenhormonmangel?

Das ist sehr variabel! Typische Symptome von Kalziummangel sind beispielsweise Ameisenlaufen, Gefühlsstörungen, Muskelkrämpfe oder Muskelschmerzen sowie bei sehr schweren Formen eine Tetanie. Das heißt, es gibt PatientInnen, die nach einer Schilddrüsenoperation aufwachen und sich kaum mehr bewegen können. Grundsätzlich kann der Hypoparathyreodismus aber auch erst Jahre nach einer Operation auftreten. Bei Formen ohne vorherige Operation kann der Beginn sehr schleichend kommen und eine korrekte Diagnose lange dauern.

Gibt es einen Unterschied in den Symptomen, wenn Betroffene keine Schilddrüsen- oder Halsoperation hinter sich haben? 

Ohne Eingriff ist die Erkrankung bei Erwachsenen seltener als bei Kindern und Jugendlichen und äußert sich beispielsweise in Epilepsie, Katarakten oder auch Hirnverkalkungen. Wenn PatientInnen an Hypoparathyreodismus leiden, steigt damit auch das Risiko an Erkrankungen der Nieren. Außerdem treten sowohl Infektionen als auch neuropsychiatrische Probleme, wie Ängstlichkeit, Verstimmungen oder Konzentrationsstörungen, gehäuft auf. Das alles ist natürlich schwer zu fassen und oftmals wird den PatientInnen leider auch nicht geglaubt. 

Wie schwer ist es für PatientInnen, Hypoparathyreodismus in den Alltag zu integrieren?

Man kann sich das von außen betrachtet nur sehr schwer vorstellen. Die Lebensqualität der PatientInnen ist manchmal sehr eingeschränkt. Leider werden gerade im chirurgischen Setting PatientInnen oftmals nicht ausreichend aufgeklärt, was ein Kalziummangel durch Hypoparathyreodismus wirklich bedeutet. Es gibt aber eben auch ein extremes Spektrum an Symptomen.

Daher wird der Hypoparathyreodismus mittlerweile, wie auch andere seltene Erkrankungen, als Chamäleon beschrieben. Wenn unklare chronische Beschwerden vorliegen, sollte daher vor allem bei PatientInnen nach Halsoperationen bei Untersuchungen immer auch Kalzium mitgemessen werden. Glücklicherweise ist das aber mittlerweile sehr gut verbreitetes Wissen!

Welche Therapiemöglichkeiten gibt es für Hypoparathyreodismus?

Hypoparathyreodismus war bis vor kurzem die letzte Hormonmangelerkrankung, bei der man nicht das, was fehlt, ersetzt hat, sondern PatientInnen lediglich Kalzium und Vitamin D gegeben hat. Auch heute geht man in 99 Prozent der Fälle immer noch so vor. Mittlerweile ist aber auch das Parathormon verfügbar, das einmal täglich gespritzt werden muss. Wir kennen das eigentlich schon aus der Osteoporose-Therapie. In dieser Form ist das Parathormon in den USA seit 2016 und in Europa seit Herbst 2017 verfügbar. Da das Präparat sehr teuer ist, kommt es aktuell nur in Einzelfällen in Frage. 

Welche Forschungen und Entwicklungen können wir uns für die nächsten Jahre erwarten?

Man kann die Therapie von Hypoparathyreodismus heute in etwa mit den Anfangsstadien der Behandlung von insulinpflichtigem Diabetes vergleichen, als das Insulin aufgekommen ist. Früher hat man allen Diabetes-PatientInnen eine Standarddosis Insulin am Tag gespritzt.

Für Hypoparathyreodismus-PatientInnen gibt es aktuell kein Kalziummessgerät, nach dem man die tatsächlich benötigte Dosis ermitteln könnte. Das Parathormon ist außerdem ein Hormon, das eine Halbwertszeit von nur drei Minuten hat. Man bräuchte daher wahrscheinlich ein kurz- und ein langwirksames Parathormon sowie Bedarfswerte. Aber ich denke, dass wird kommen – hoffentlich aufgrund der technologischen Entwicklung schneller als bei Diabetes! 

Symptome

Körperliche:
Müdigkeit, Knochen- & Gelenkschmerzen, Krämpf

Kognitiv:
Konzentrationsschwächen, Vergesslichkeit und Schlafstörungen

Psychisch:
Innere Unruhe, Ängstlichkeit, Depressionen

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